„Opfer aus den Krankenakten rausholen“

Und auch die wissenschaftliche und pädagogische Leiterin der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg kennt nicht „die ganze Wahrheit“. Sie sprach auf Einladung der Lebenshilfe Soltau e.V. vor mehr als 50 Zuhörenden in der Felto Filzwelt zum Thema „Lebendiges Erinnern – Opfer von Sterilisation und Krankenmord aus der eigenen Nachbarschaft“.

Den Abend eröffnete Mathias Ernst von der Stiftung Spiel / Spielmuseum und Felto Filzwelt. In seiner bewegenden Einführung appellierte er: „Es ist unsere Aufgabe, dass so etwas nie wieder zugelassen wird!“ Gerhard Suder, Geschäftsführer und Vorstand der Lebenshilfe Soltau e.V. begrüßte die Anwesenden mit den Worten „Liebe Mitmenschen“ – und rief dazu auf, sich eben auf diese Mitmenschlichkeit zu besinnen. Anschließend kündigte er den Vortrag von Rudnick an – einen „möglicherweise auch emotional berührenden Vortrag.“

So war es auch. Nach einer allgemeinen Einführung zu den Verbrechen der NS-„Euthanasie“ und den besonderen Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung, berichtete Rudnick von dem Soltauer Rudolf Hagedorn. Über sein Schicksal ist dank seiner Schwester Ingrid inzwischen weit mehr bekannt, als in den Krankenakten verzeichnet. Was mit ihm geschah, ist in der digitale Ausstellungen der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg unter https://geschichte-raum-geben.de/rudolf-hagedorn/ nachzulesen.

Für sechs weitere Opfer aus Soltau gilt dies nicht. Ihre Namen:

• Horst Lehmkuhl (5.3.1940 - 3.11.1942)
• Erika Heuer (15.1.1941 – 5.9.1942)
• Harald Frandsen (18.12.1926 – 30.1.1944)
• Marie Behr (13.12.1906 – 12.05.1941)
• Wilhelmine Reiners (25.5.1875 – 25.9.1943)
• Walter Buddrich (26.4.1922 – 21.5.1941)

Auch über viele weitere Opfer aus dem Heidekreis ist nur wenig bekannt. Sie starben im Kindesalter oder als Erwachsene. Sie verhungerten, starben an mangelnder Versorgung, wurden im Rahmen der “Aktion T4“ mit Kohlenmonoxid in Tötungsanstalten ermordet. Weil sie anders waren. Weil sie im Sinne der NS-Ideologie „nicht nützlich“ waren.

Rudnick möchte die Opfer mit ihrer Arbeit „rausholen aus den Krankenakten.“ Denn ihre Erfahrung zeigt, dass die Familien der Opfer vielfach bis heute nur ahnen, was mit ihren Familienmitgliedern geschehen sein könnte. Sie möchte ihre Fragen beantworten und sie so dabei unterstützen, Frieden zu finden. Angehörige der genannten Opfer können sich daher ebenso an Rudnick wenden, wie alle Menschen, die ahnen oder befürchten, dass Ihre Familienmitglieder aus dem Heidekreis im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen ermordet wurden.

Das Team der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg ist in der Regel Montag bis Freitag von 8.00 bis 14.00 Uhr unter 04131 60 20970 oder info@gedenkstaette-lueneburg.de erreichbar.