Menschen berichten von ihren Erfahrungen mit der Lebenshilfe Soltau e.V.

Manuela Schneider lacht, wenn sie von ihrem Alltag erzählt, auch wenn dieser nicht einfach ist. Die Gruppensprecherin des neuen Teilhabebeirats in Schneverdingen lebt mit ihrem Mann und fünf minderjährigen Kindern in der Heideblütenstadt. Vor 14 Jahren kam Manuela Schneider aus Bremen nach Schneverdingen. Sie war damals seit sechs Jahren alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Dann lernte sie ihren heutigen Mann kennen – und plötzlich waren es sieben Kinder. Die fünf „Nachrücker“, wie sie sie nennt, sind heute elf, zehn, neun, vier und drei Jahre alt. Zwei ihrer Kinder haben ADHS, eines das Down-Syndrom, ein weiteres eine seltene genetische Anomalie. Ihr Leben ist geprägt von Struktur, Organisation und unermüdlichem Einsatz. „Ich setze mich gern für Kinder mit Behinderung und deren Familien ein“, sagt sie, „das ist mir wichtig.“ Deshalb engagiert sich Manuela Schneider im Teilhabebeirat.
Ihr Tagesablauf ist geprägt von medizinischen Terminen, Therapien, Telefonaten und Formularen. Ihr zehnjähriger Sohn war von Anfang an ein Sorgenkind, wie sie sagt. Er lernte spät laufen und sprechen und hatte weitere Entwicklungsrückstände. Doch ernst genommen fühlte sich Manuela Schneider mit ihren Sorgen lange Zeit nicht. „Die Ärzte meinten nur: ‚Das kommt schon noch‘.“ Erst als eine Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes zufällig miterlebte, wie belastet die Familie war, tat sich etwas: Ihr Kind bekam Pflegegrad drei zugesprochen. Endlich gab es Unterstützung. „Da habe ich mich gefragt, warum es uns vorher so schwer gemacht wurde.“
Der Alltag der Familie sei streng getaktet. Um halb sieben gebe es Abendbrot, alles laufe wie am Fließband. „Wir können nicht alle zusammen essen – das würde im Chaos enden“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Viel eigene Freizeit ist kaum möglich. „Wir haben eine Sauna ins Schlafzimmer eingebaut, damit wir wenigstens dort gemeinsam abschalten können. Einen Babysitter zu finden, ist schwierig, es muss ja auch jemand können.“ Familie Schneider ist glücklich, tolle Unterstützung gefunden zu haben. Videospiele seien in der Familie tabu, weil sie Aggressionen auslösten. „Auch Fernsehen klappt nicht einfach so, sondern nur, wenn ich dabei bin. Und dann auch nur bestimmte Sachen. Eines meiner Kinder bekommt schnell Angst und muss dann raus aus der Situation.“ Das passiere auch im Kino häufig. „Ich bin ehrenamtlich Filmvorführerin hier im Kino in Schneverdingen. Das mache ich am Kindernachmittag am Sonntag, damit ich etwas mit den Jungs zusammen mache. Ungefähr bei jeder zweiten Vorstellung muss ich mein Kind abholen lassen. Das sind so Sachen, das können andere Eltern gar nicht nachvollziehen, sie finden es nicht normal. Aber was ist schon normal?“
Oftmals werde ihr eine falsche Erziehung vorgeworfen. „Es heißt dann, wir würden uns nicht kümmern. Dabei kümmere ich mich um zigtausend Sachen: Medikamente, Rezepte, Logo, Ergo, Physio. Dann Termine mit dem medizinischen Dienst, Gespräche mit der Krankenkasse, mit dem Rehatechniker“, so Manuela Schneider. „Letztes Mal im Supermarkt, da sagte eine Frau zu mir: ‚Da können Sie ihm ruhig mal eins auf die Finger geben‘. Das habe ihr schließlich auch nicht geschadet.“ Das sei verletzend für sie, sagt Manuela Schneider. „Ich sage immer: als Mutter bekommt man das schlechte Gewissen gleich mit in den Arm gelegt.“ Dabei würde sie sich mehr Offenheit wünschen: Es wäre doch einfach zu fragen: ‚Was ist los bei euch?“
Das jüngste Kind von Manuela Schneider ist drei Jahre alt. Es hat das Down-Syndrom. „Gefühlt wollte damals keiner dieses Kind“, sagt Manuela Schneider leise. In einer Arztpraxis habe man sie sogar gefragt, ob sie sich die Fruchtwasseruntersuchung nicht „sparen wolle“, weil sie das Kind „vermutlich eh nicht wollen würde“. Ganz anders wurde in einer anderen Praxis mit ihr umgegangen: „Wir wurden 1,5 Stunden beraten. Uns wurde gesagt: ‚Euer Kind ist behindert, aber völlig gesund.‘ Wir sahen auf dem Ultraschall, wie das Baby am Daumen nuckelt – da waren wir sicher, dass wir diesen Jungen bekommen wollten.“ Heute weiß sie: „Mit dem Down-Syndrom kann man ein ganz normales Leben führen.“ Und sie betont: „In keinem anderen Land bekommen Menschen mit Behinderung so viel Unterstützung wie hier in Deutschland.“ Das dürfe man auch mal anerkennen, statt pauschal zu schimpfen. Der Arbeitgeber ihres Mannes etwa, die Zimmerei Lars Heuer GmbH, zeige viel Verständnis und beteilige sich aktiv an der Lösung von auftretenden Problemen. „Das ist toll!“, lobt Manuela Schneider.
Im Gespräch wird deutlich: Manuela Schneider will nicht klagen, sondern handeln. Und sie wünscht sich, dass Inklusion auch im Freizeitbereich mitgedacht wird – nicht als Extra, sondern als selbstverständlicher Teil der Planung. Ein Beispiel: „So schön wie der Abenteuerspielplatz in Schneverdingen ist, es fehlen dort bislang Spielgeräte, die auch Kinder mit Behinderung nutzen können.“ Wichtig sind ihr außerdem Informationsabende zu Themen wie Entlastungsleistungen, Verhinderungspflege usw. „Es müsste viel mehr Aufklärung geben, denn nicht jeder hat die Kraft, sich alles selbst zusammenzusuchen. Und dann verlieren sie das Pflegegeld, weil sie das Pflichtgespräch nicht führen.“ Sie selbst hat als Krankheitsvertretung bei der EUTB (Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung) gelernt, wie man Anträge stellt, Widersprüche einlegt und zustehende Hilfen auch wirklich bekommt. „Wenn ich damals schon dort gearbeitet hätte, wäre vieles leichter gewesen.“ Ihr Wissen gibt sie heute gern weiter. Denn: „Ich möchte mit meiner Arbeit im Teilhabebeirat helfen, dass andere es leichter haben.“

„Jeder Mensch verdient es gesehen, verstanden und gehört zu werden“, sagt Monika Rudolf. „Doch wir haben gemerkt, wenn man nicht für seine Rechte einsteht, hat man manchmal gar keine Chance.“ Schwierigkeiten mit Behörden, Einrichtungen und Menschen, „die sonst noch auf einen einwirken“ haben die siebenfache Mutter geprägt. Sie kämpft um die notwendige Unterstützung für ihre vier Pflegekinder, die alle eine Beeinträchtigung haben. Ihr Ziel: Sie sollen ihr Leben ebenso gestalten können, wie ihre leiblichen Kinder ohne Behinderung. Und auch diese sollen nicht zu kurz kommen. Das Familienleben der Rudolfs ist deshalb geprägt von großem Einsatz und viel Fürsorge. Der Vater ging mit gerade einmal 40 Jahren und entsprechend hohen Abzügen frühzeitig in Pension, um die Betreuung der Kinder zu ermöglichen. Und Monika Rudolf schreibt schon mal einen Brief an Politiker wie den damaligen Kultusminister Grant Henrik Tonne oder an den Vizekanzler Lars Klingbeil, um ihren Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen.
Mehrere ihrer Pflegekinder haben das Fetale Alkohol-Spektrum-Syndrom (FASD). Es entsteht durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft. „Es reicht schon ein Glas“, sagt Monika. „In Deutschland werden jedes Jahr rund 12.000 Kinder mit FASD geboren.“ Für sie ist es eine Herzensaufgabe, aufzuklären, denn FASD ist noch immer wenig bekannt und oft nicht richtig eingeordnet. „Man sieht den Kindern ihre Beeinträchtigung nicht unbedingt an. Weil sie sprachlich fit sind, werden sie oft überschätzt. Gerade das macht es so schwer, passende Hilfen zu bekommen.“ Dabei könne selbst Alltägliches eine unüberwindbare Hürde für Betroffene darstellen. „Wenn ich meinen Sohn bitte, ‚Kirschmarmelade‘ im Hofladen zu kaufen, ist er bedingt durch das FASD überfordert, wenn auf dem Glas ‚Sauerkirschmarmelade‘ steht.“ Solche Einschränkungen in der Alltagskompetenz sind eine der gravierenden Folgen von FASD. Auch emotionale Ausbrüche, Gedächtnisprobleme und eine besondere Anfälligkeit für Sucht gehören dazu. Die Diagnose war für die Familie ein Schock – und gleichzeitig eine Erleichterung. „Wir wussten endlich, womit wir es zu tun haben.“ Um besser mit den besonderen Bedürfnissen ihrer Kinder umgehen zu können, hat die gelernte Erzieherin eine Zusatzausbildung zur FASD-Fachkraft gemacht.
Dennoch sei der Alltag anstrengend, jeder Tag durch Therapien, Arzttermine und Schule getaktet. Und immer wieder stößt die Familie an strukturelle Hürden. „Unsere große Tochter Leonie wird noch immer über die Eingliederungshilfe in Bayern betreut. Dort läuft vieles einfacher. Ein Antrag auf Freizeitassistenz war dort nach zwei Wochen erledigt. Hier im Heidekreis dauerte es anfänglich elf Monate.“ Auch die starren Verwaltungsgrenzen seien ein Problem. „Hilfen dürfen nur im jeweiligen Landkreis eingesetzt werden, selbst wenn Angebote im Nachbarlandkreis sinnvoller und näher wären.“ Ein weiteres Problem: „Die Gelder sind da, aber keiner sagt dir, was du beantragen kannst. Viele Familien scheitern, weil sie sich nicht durchkämpfen können.“ Monika Rudolf wünscht sich, dass Betroffene von Anfang an mit Informationen versorgt werden, statt mühsam alles selbst herausfinden zu müssen. Ein Beispiel hierfür sei die Sportassistenz, die sie gerade für eines der Kinder beantragt hat. „Dass es so etwas gibt, haben wir per Zufall von anderen Betroffenen mitbekommen, die aus einem anderen Landkreis kommen.“ Dabei sei solch eine Unterstützung für ihre Kinder wichtig, denn noch fehle es an wirklich inklusiven Sportangeboten vor Ort. Sie wünscht sich, dass Übungsleiter mehr Wissen im Umgang mit Menschen mit Behinderung erlangen – und sie für inklusive Angebote auch den Rückhalt im Verein haben. Nachdem ihr Mann viele Jahre lang Kinder in Schneverdingen trainiert habe, sei die Familie sportlich inzwischen nach Buchholz gewechselt, wo es deutlich mehr Unterstützung gebe. „Mittlerweile trainiert mein Mann Martin dort eine Turn-Gruppe mit zehn Kindern mit sogenannter geistiger Behinderung.“ Doch sie wünsche sich eigentlich keine gesonderten Angebote, sondern dass alle Vereine und Sparten es ermöglichen, dass Menschen mit Behinderung teilhaben können.
Bei allen Kämpfen erlebt Monika Rudolf auch viele gute Momente. Sie erinnert sich an Situationen, in denen Menschen unkompliziert geholfen haben. Solche Erfahrungen geben ihr Kraft. „Neulich sind wir an der Elbe mit der Fähre gefahren und ich hatte die Wertmarken der Kinder nicht dabei. Die Kontrolle war sehr nett, hat mir einfach geglaubt und wir brauchten nicht bezahlen. Die Kinder waren happy, alles war gut. Es gibt eben auch positive Sachen und positive Menschen die einfach da sind und helfen.“
Auch kleine, sehr praktische Hilfen kennt die Familie inzwischen. „Wir nutzen zum Beispiel das Sonnenblumen-Symbol für unsichtbare Behinderungen. Wer es kennt, weiß: Hier ist besondere Rücksicht nötig. Unsere Kinder tragen es mit einem Hinweiszettel, damit Außenstehende im Notfall wissen, was los ist. In Oslo etwa erkannte das Flughafenpersonal das Symbol sofort und reagierte sehr aufmerksam – ein tolles Erlebnis.“ Auch der „Schwer-in-Ordnung-Pass“ vom Heide-Park ist für Monika Rudolf ein positives Beispiel: Mit diesem Ausweis konnten die Kinder ohne lange Wartezeiten einige Fahrten in dem Soltauer Freizeitpark genießen. „Ohne den Pass würden wir gar nicht hingehen. Mit dem Pass war es für die Kinder ein richtiges Abenteuer.“ Das sei toll und müsse viel mehr beworben werden.
Doch auch echte Tiefpunkte kennt Monika Rudolf. „Natürlich gibt es Momente, in denen es nicht mehr weitergeht. Dann rede ich mit meinem Mann oder mit meinem großen Sohn. Und dann gilt: eine Strategie machen, aufstehen und weitermachen.“ Für sich selbst bleibt wenig Zeit. „Naja“, sagt sie lachend, „die Hunderunde in der Früh, die gehe ich meistens alleine.“ Doch sie stellt klar: „Wenn es meinen Kindern gut geht, geht es mir auch gut.“

Stephanie Ritter ist 56 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei großen Irischen Wolfshunden und ihrem Kater in Zahrensen. Seit 37 Jahren arbeitet sie beim NDR in Hamburg – mittlerweile in Teilzeit. Stephanie Ritter hat Multiple Sklerose. In Schneverdingen setzt sie sich seit vielen Jahren für Barrierefreiheit ein – zunächst im Rahmen von Kommune Inklusiv, nun beim Netzwerk Senior*innen und Teilhabe sowie im neu gegründeten Teilhabebeirat. Außerdem leitet sie seit 2007 die örtliche MS-Selbsthilfegruppe. Wenn man mit ihr spricht, spürt man sofort: Sie ist fest davon überzeugt, dass Behinderung kein Grund ist, sich zurückzuziehen. Im Gegenteil: Sie will gestalten und Menschen motivieren, ihr Leben so selbstbestimmt wie möglich zu führen.
Barrierefreiheit ist ihr Herzensthema – und zwar nicht als abstraktes Ziel, sondern als gelebte Selbstverständlichkeit. Sie weiß, wie wichtig abgesenkte Bordsteine, rutschfeste Beläge und gut befahrbare Wege sind. Und sie findet: „Wir haben in Schneverdingen schon viel geschafft.“ Doch am Ziel ist sie noch lange nicht: „Es gibt noch genug Punkte, die verbessert werden können.“ Sie lacht, wenn sie von holprigen Wegen erzählt, auf denen Rollstuhlfahrer „wie auf einer Achterbahn“ fahren. Solche Erfahrungen haben sie motiviert, selbst aktiv zu werden. Sie hat sich sehr im Projekt Kommune Inklusiv Schneverdingen engagiert. Sie war Mitinitiatorin und Teil des Begehungsteams bei der Erstellung der touristischen Broschüre „Schneverdingen barrierefrei erleben“*. Und sie hat die Ausbildung zur Barrierescoutin bei den Berliner Sozialhelden absolviert, um Betriebe zu beraten. Sie hat gelernt, auf ganz verschiedene Hindernisse zu achten und Betriebe bei der Suche nach Lösungen zu unterstützen. Dabei kann es um einen Türanschlag gehen, der in die falsche Richtung öffnet, eine fehlende Beschriftung oder auch um die Höhe, in der eine Informationstafel angebracht wird, damit sie wirklich alle erreichen können.
Sie weiß: Barrierefreiheit nutzt allen, nicht nur Menschen mit Behinderungen. „Alles, was für Rollstuhlfahrer gut ist, hilft auch Familien mit Kinderwagen oder älteren Menschen mit Rollatoren.“ Außerdem ist sie davon überzeugt, dass Barrierefreiheit durchaus werbewirksam ist. „Wir sollten touristisch viel mehr damit werben. Der barrierefreie Reiseführer ‚Schneverdingen barrierefrei‘ sollte bei jeder Beratung griffbereit liegen.“ Und sie träumt von einem eigenen Symbol für barrierefreie Wege – so selbstverständlich wie andere Wanderzeichen.
Ihre Motivation zieht Stephanie Ritter aus ihrer eigenen Krankengeschichte. Mit 20 Jahren wurde sie von heute auf morgen pflegebedürftig. Sie konnte kaum noch stehen, litt unter Schwindel und Erbrechen. Zunächst schoben die Ärzte es auf eine Borreliose-Infektion, doch zehn Jahre später stand die gesicherte Diagnose Multiple Sklerose fest. Der Verlauf war schleichend, mit Schüben, die meist durch Stress ausgelöst wurden. Stephanie Ritter hat Zeiten erlebt, in denen sie komplett auf den Rollstuhl angewiesen war. Heute kann sie wieder einige Strecken zu Fuß gehen – auch wenn der Rollator oder Handstock immer in Reichweite ist.
Mit Hilfsmitteln kennt sie sich dementsprechend aus – und mit den Hürden, die Betroffene bei der Beantragung erleben. „Es gibt immer Hilfsmittel, die besser sind. Aber man muss sie sich leisten können. Von den Krankenkassen gibt’s das Standardmodell – und alles andere zahlst du selbst, inklusive Reparaturen.“ Sie sieht es kritisch, dass jegliche Freizeit-Hilfsmittel wie behindertengerechte Fahrräder oft gar nicht gefördert werden. „Alles, was nach Freizeit ‚riecht‘, gilt nicht als förderungswürdig.“ Dabei sei Freizeit doch für alle Menschen wichtig.
Seit 2007 leitet Stephanie Ritter die MS-Selbsthilfegruppe in Schneverdingen. Dort gibt sie nicht nur praktische Tipps, sondern auch emotionale Unterstützung. „In einer Selbsthilfegruppe musst du dich nicht erklären. Jeder weiß, wie es ist, wenn man sich dreimal im Kreis dreht, bevor man sich hinsetzt.“ Auch wenn die digitalen Möglichkeiten heute endlos scheinen, ist die Gemeinschaft in einer Selbsthilfegruppe für sie unersetzlich. „Wer jammern will, geht ins Internet. Wer lernen will, mit seiner Krankheit zu leben, kommt in eine Selbsthilfegruppe“, sagt sie. Das sei mehr als ein Austausch – es ist eine Lebensschule. Doch viele müssten erst große Hürden überwinden, ehe sie zu einer Selbsthilfegruppe kommen: Scham oder Angst sind häufig im Weg. Mit ihrer direkten und humorvollen Art ermutigt sie Betroffene, das Leben pragmatisch umzugestalten. „Ich darf nicht denken, dass ich mein altes Leben aufgeben muss – ich muss es umbauen, damit es wieder komfortabel wird.“ So pragmatisch ist sie auch im Alltag: Der Rollstuhl ist für sie kein Symbol für ihre Einschränkung, sondern ein Werkzeug, um Kraft zu sparen und unabhängig zu bleiben. „Ich kann darin Wäsche aufhängen, fegen, mein Kind knuddeln oder mit den Hunden gehen, ohne Angst umzuknicken.“

Ihre vielfältigen Erfahrungen möchte sie in den neuen Teilhabebeirat einbringen. Dabei geht es ihr nicht nur um Barrierefreiheit. Sie möchte auch echte Bürgerbeteiligung fördern. „Die Menschen sollen uns ihre Ideen und Probleme melden. Wir sammeln alles, priorisieren und setzen es, wenn möglich, Schritt für Schritt um.“ Sie weiß, dass Behörden oft komplexe Abläufe haben, Ausschreibungen nötig sind oder Kostenhürden bestehen. „Aber manchmal sind es Kleinigkeiten, die man mit eigenem Personal schnell regeln könnte. Da braucht es einfach den Dialog.“
Und wie geht sie selbst mit Tiefpunkten um? Stephanie Ritter lacht: „Nudelauflauf Nummer vier von Rimini. Mit Hähnchen und Gorgonzolasoße. Dazu Schoki, ein gutes Buch oder Fernsehen – und dann ziehe ich mich erstmal zurück.“
Ihre Wünsche für die Zukunft sind bodenständig. „Ich möchte in diesem Zustand uralt werden, denn Gesundheit ist nicht selbstverständlich. Ein ruhiges, erfreutes Leben führen, mit Menschen um mich, mit denen ich lachen kann, die Natur genießen, ins Theater gehen – und mich nicht mit Dingen beschäftigen müssen, die mich aufregen.“ Wer sie erlebt, merkt schnell: Sie hat klare Ziele, aber verliert nie den Blick für die kleinen Glücksmomente – sei es ein Frosch im Garten oder eine Libelle am Teich.
*Die Broschüre "Schneverdingen barrierefrei erleben" ist erhältlich über: Schneverdingen Touristik

Robert Milting engagiert sich im neu gegründeten Schneverdinger Teilhabebeirat. Im Gespräch mit Schneverdingen Inklusiv* erzählt er offen und ehrlich aus seinem Leben. Er spricht von Verlusten, Veränderungen und neuen Wegen. Seit einigen Jahren lebt er im Schneverdinger Alten- und Pflegeheim Der Tannenhof. Er ist beidseitig oberschenkelamputiert, auf den Rollstuhl angewiesen und steckt voller Tatendrang.
Robert Milting hat viel erlebt. Zwei Kinder hat er verloren, gesundheitlich musste er große Einschnitte verkraften. „Aber man kann nicht in Selbstmitleid versinken“, sagt er. „Wenn man den Kopf hängen lässt, lässt man sich selbst hängen.“ Also „Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist.“ Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Als Heizungsmonteur war er lange selbstständig. Später zog die Familie aus Dessau nach Schneverdingen, wo er 23 Jahre in einem Kunststoffverarbeitungsbetrieb arbeitete. Dann begannen die gesundheitlichen Probleme. „Das erste Bein war ein Schock. Von jetzt auf gleich kam der Arzt und sagte: Es geht nicht mehr anders, das Bein muss ab“, erinnert er sich. „Ich war fertig.“ Beim zweiten Bein war es anders. Der Prozess war langwierig – aber er konnte sich vorbereiten. „Ich habe gesagt: Dann macht das Bein ab. Und zehn Tage später war ich im Tannenhof – zur Kurzzeitpflege. Nach einer Woche habe ich gefragt, ob ich bleiben kann.“
Vor seinem Umzug ins Alten- und Pflegeheim lebte Robert Milting in einer Wohnung in Schneverdingen. Doch nach der Amputation wurde diese für ihn zum Problem. „Ich hätte noch gut alleine leben können, aber ich konnte über Monate hinweg nicht mehr selbstständig aus meiner Wohnung raus. Sie war nicht barrierefrei Und barrierefreie Wohnungen gibt es hier zwar, aber sie sind nicht bezahlbar.“ Im Tannenhof fand er schließlich zurück zur Selbstständigkeit. „Viele haben eine völlig falsche Vorstellung vom Heim. Aber hier bin ich frei. Ich komme mit dem Rollstuhl überall hin. Die Leute sind nett. Und das Frühstück? Gibt’s daheim fünf Sorten Brötchen?!“ Er lacht. Auch das Miteinander ist ihm wichtig. „Natürlich gibt es auch hier Meckerer – aber das ist normal, wenn viele Menschen zusammenleben. Ich fühle mich hier wohl.“

Zunächst engagierte er sich im Heimbeirat. Inzwischen ist er Vorsitzender. „Ich höre viel, ich sehe viel – auch durch meine ehrenamtliche Mitarbeit hier im Kiosk. Wenn jemand ein Anliegen hat, kann ich das weitergeben. Und wenn etwas im Argen liegt, sage ich das auch.“ Genau deshalb war für ihn klar: Beim neuen Teilhabebeirat macht er mit. Ein zentrales Thema für ihn: Barrierefreiheit. „In Schneverdingen ist schon viel passiert, gerade in Neubaugebieten oder in der Inseler Straße. Da kann man gut über die Übergänge fahren. Aber es gibt eben auch noch viele Stellen, wo es hapert. Die Menschen merken oft gar nicht, wie hoch ein Bordstein ist – sie gehen einfach drüber. Aber für mich kann das bedeuten: Ich komme da nicht weiter.“ Ein Beispiel: Wenn er vom Theeshof zum Seekamp möchte, muss er lange Umwege fahren, weil keine durchgängig abgesenkten Bordsteine vorhanden sind. „Ich muss zum Teil die Straße benutzen – das ist gefährlich.“
Robert Milting weiß, wovon er spricht. Er appelliert deshalb: „Nehmt Rücksicht aufeinander! Alle wie wir gewachsen sind. Keiner kann etwas für seine Behinderung. Keiner sucht sich so etwas aus. Die Menschen mit einer Behinderung, die müssen damit leben. Andere Leute können gar nicht einschätzen, wie das ist. Viele nehmen ihre Gesundheit als selbstverständlich, dass ist sie aber nicht! Man kann von heute auf morgen zum Beispiel durch Unfall oder Krankheit mit einer Behinderung dastehen. Dann steht das Leben plötzlich Kopf.“ So, wie es bei ihm selbst gewesen sei. Deshalb engagiert er sich im Teilhabebeirat. „Ich möchte Ansprechpartner sein – für Menschen mit und ohne Behinderung. Ich will zuhören und helfen, Brücken zu bauen. Und ich möchte zeigen: Man ist nicht allein.“
Seine Haltung: Nicht meckern, sondern machen. Besonders wichtig ist es Robert Milting, auf die Gefahren des Rauchens aufmerksam zu machen. Bis Ende 2022 hat er geraucht. „Ich habe es gerne getan, aber irgendwann siegt die Vernunft. Besonders, wenn einem die Folgen so deutlich vor Augen geführt werden“, sagt er offen. „Ich habe 50 Jahre lang ‚erfolgreich geraucht‘. Und heute habe ich keine Beine mehr.“ Für ihn steht fest: Das Rauchen war ein entscheidender Risikofaktor für die Durchblutungsstörungen, die letztlich zu den Amputationen führten. „Natürlich spielt auch Genetik eine Rolle“, räumt er ein. „Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass das Rauchen viel mit meiner Situation zu tun hat.“ Deshalb ist es ihm wichtig, anderen zu sagen: „Schaut hin, denkt nach. Gesundheit ist nicht selbstverständlich.“
Für sein eigenes Leben hat er einen bescheidenen Wunsch: „Ich würde gerne hier im Heim noch ein paar Jahre in Ruhe und Frieden leben. Ich bin zufrieden. Nach all dem, was war, ist das viel wert.“
Robert Milting ist ein Mann mit klarem Blick, Humor und Herz. Er zeigt, dass Teilhabe mehr bedeutet als nur Mitreden – es bedeutet Mitverantwortung, Mitgefühl und Mitwirkung.
* Schneverdingen Inklusiv ist ein Angebot der Lebenshilfe Soltau e.V. Das Team begleitet den Teilhabebeirat seit der Planungsphase.


Das Luca im November 2005 mit einer Behinderung zur Welt kam hat uns eiskalt erwischt. Während der Geburt trennte sich frühzeitig die Plazenta und Luca musste aufgrund von Sauerstoffmangel reanimiert werden. Die Schwangerschaft verlief völlig sorgenfrei. Um so unvorbereiteter nahmen wir die Prognose des Arztes zur Kenntnis, dass Luca wohl „kein guter 100 Meter Läufer werden wird...wenn überhaupt“. Luca lag auf der Intensivstation.
Die ersten Wochen und Monate waren eine große Belastungsprobe. Unzählige Krankenhausaufenthalte, Hadern mit dem eigenen Schicksal und viele, viele Tränen. Luca schrie viel und war steif wie ein Brett. Eine Freundin kam, um den schreienden Luca herum zu tragen. Wir brauchten sie nur an zu rufen und schon war sie zur Stelle. Auch Mamas Patentante kam einmal die Woche abends mit ihrem Mann zu Besuch, um Luca herumzutragen. Es blieb Zeit, um auf dem Sofa zu sitzen und zu weinen. Denn sonst hatte man einfach nur zu funktionieren.
Ganz wichtig war die große Familie, die einem immer wieder Halt und Unterstützung gab und immer für uns da war, wenn wir sie brauchten.
Es ging langsam aufwärts. Wir kamen zu der Erkenntnis, dass es vielleicht noch schlimmer hätte kommen können. Kurz nach der Geburt erhielt Luca bereits Krankengymnastik. Die Frühförderung kam zu uns ins Haus, wir gingen Schwimmen und Reiten mit Luca. Mit Tess, der lieben Labradorhünden, haben wir ein weiteres Familienmitglied gewonnen, das mit für Luca da ist. Auf Musik, Hörspiele und menschliche Stimmen reagiert Luca sehr unterschiedlich. Wir wissen nicht genau, was bei Luca ankommt. Aber das etwas ankommt, dessen sind wir uns ganz sicher.
Als wir Luca nach seiner Eingewöhnung zum ersten Mal in der Heilpädagogischen Kindertagesstätte schreiend alleine zurückließen, sagte ein Erzieher zu mir: „Fahr nach Hause, trink einen Cappuccino und lass uns mal machen. Das wird schon.“ Ich bin erst einmal in den Supermarkt gefahren. Da ich, um Luca und mich zu beruhigen, gewöhnlich jeden Vorgang benannt oder besungen habe, stellte ich während des Einkaufens plötzlich fest, dass ich mit einem leeren Einkaufswagen sprach.

Was wir an der Lebenshilfe schätzen ist der gute Austausch, die Verlässlichkeit und die Hilfsbereitschaft, die uns entgegengebracht wird. Was wir uns wünschen, sind weitere Fortschritte in Sachen Barrierefreiheit. Luca kann nicht selbstständig sitzen und ist daher auf seinen Spezialstuhl angewiesen. Eine Flugreise ist durch den erforderlichen Ausbau einer kompletten Sitzreihe unbezahlbar. Ebenso ist eine Fahrt in einem Karussell ausgeschlossen.
Wir sind heute davon überzeugt, dass es gut so ist, wie es ist. Als uns beim letzten Krankenhausaufenthalt vorgeschlagen wurde für Luca eine Tagespflege zu beantragen, damit wir einmal durchschnaufen können, war unsere Antwort: Nein Danke, solange wir auf der Welt sind, gibt es uns nur zu viert – oder gar nicht.
Carmen, Lutz, Jonas, Luca Dornack und natürlich Tess

Hallo, ich heiße Marvin Läufer und bin am 25.04.1996 in Soltau geboren. Ohne das die Ärzte etwas bemerkten wurde ich als gesund aus dem Krankenhaus entlassen. Aber als wir dann drei Monate später beim Kinderarzt waren bemerkte er bei einer Routineuntersuchung, dass mit mir irgendwas nicht stimmte.
Untersuchungen ergaben, dass ich in Mamas Bauch Sauerstoffmangel hatte und sich dadurch ein Loch in der linken Gehirnhälfte gebildet hat. Mama und Papa waren sehr traurig, aber eins stand für sie fest: Sie werden mich immer lieben, egal wie ich mich entwickeln werde.
Durch Frühforderung und viel Krankengymnastik konnte ich dann mit 2 Jahren laufen. Dann kam mein „ Großer Tag“: Im August 1999 kam ich in die Kita der Lebenshilfe Soltau. Mama war sehr traurig, aber ich fand es toll mit anderen Kindern zu spielen. Ich machte große Fortschritte, und es folgte die Einschulung in 2001.
Da wurde ich so langsam erwachsen. Leider trennten sich in der Zeit meine Eltern, aber Oma und Mama sorgten dafür, dass ich mit der neuen Situation sehr gut zurecht kam. 2010 war für mich ein nicht so schönes Jahr. Ich verlor meine allerliebste Oma, 2 Tage vor meinem 14. Geburtstag. Mama sagt, dass Oma jetzt im Himmel ein Engel ist und auf mich aufpasst. 2011 hatte ich dann eine große Wirbelsäulenoperation. Mit ein paar Komplikationen wurde ich nach 3 Wochen entlassen. Mama sagt, ich sei sehr tapfer gewesen.
Durch die vielen Jahren bei der Lebenshilfe Soltau e.V bin selbständiger geworden und habe vieles erlernt. Kleine Arbeiten kann ich fast Selbständig erledigen, wie z.B. im Werkunterricht eine Laubsäge bedienen. Oder beim Einkaufen Sachen aufs Band legen und sie wieder einräumen. Vor allem das Miteinander mit meinen Mitschülern und Lehrern ist mir sehr wichtig. Mama und ich möchten „Danke“ sagen für die 15 tollen Jahre. Ich bin jeden Morgen gerne zur Lebenshilfe gegangen.
Meine Hobbys habe ich fast vergessen: Musik, Musik, Musik! Ich genieße es jeden Freitag in der Musikschule zu sein. Mit meinem Charme und meinem Lächeln kann ich viele verzaubern, auch ohne Worte. Ein Lächeln das ich nie verlieren werde. „Ich bin nicht anders, ich bin wie Du“.
Marvin Läufer